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Türchen

Herzlich willkommen zum 8. Türchen!

Das Weihnachtswunder

 

Salome wurde vom Donnergrollen der Raketen geweckt. Zum dritten Mal in dieser Woche. Noch bevor sie richtig wach war, erschien bereits der Kopf des Vaters in der Tür.

 

            „Salome, wir gehen.“ 

 

Das genügte. Das Mädchen wusste, was zu tun war. Schnell griff sie nach ihrem Teddybären und ihrer Jacke. Mama war mit dem kleinen Levin auf dem Arm bereits im Gang. Die vier gingen die sechs Stockwerke zu Fuß hinunter. Besser gesagt, sie rannten.

Es war nicht weit bis zum zugeteilten Schutzkeller. Salome hätte den Weg auch blind gefunden. 

Drinnen war es recht dunkel. An die 20 Menschen, alte, junge, männliche, weibliche waren schon darin versammelt. Sie kauerten im Dämmerlicht mit leblosen Augen am Boden oder standen und redeten leise miteinander. Für keinen schien es etwas Besonderes zu sein.

Salome beobachtete eine Familie, die sich an den Händen hielt und betete. Der kleine Junge in der Mitte ließ sich nur schwer ruhig halten. Er schluchzte immer wieder laut auf während des Gebets. 

Salome drückte Balu, den Teddy, fest an ihren Körper. Wenigstens er sollte keine Angst haben. Schließlich begann in drei Tagen das Lichterfest. Und das kleine Mädchen liebte Chanukka. Oma und Opa waren letztes Jahr für ein paar Tage auf Besuch gekommen. Sie hatten am Abend zusammen gesungen und das Kreiselspiel gespielt. Auf dem Kreisel war zu lesen gewesen: ‚Ein großes Wunder geschah hier‘. 

Heuer würde es wohl kein Chanukka geben. Das machte Salome gerade traurig. 

Mitten in die trübe Stimmung hörte sie es dann. Es klang wie ein Engel, der leise Musik machte. Die Melodie war süß und tröstlich. Da konnte sie es sehen im fahlen Licht des Untergrunds. Ein Mann mittleren Alters in einer zerschlissenen Jeanshose und einem alten Wollpulli mit großen gelben Sternen stand in einer Ecke und hielt eine Geige in Händen. Er spielte so wunderschön darauf, dass es Salome die Tränen in die Augen trieb.

Sie ging hinüber und setzte sich direkt vor den Musiker. Dann lauschte sie andächtig. Erst als der Geiger nach ein paar Minuten pausierte, registrierte er das kleine Mädchen. Er lächelte.

            „Ah, ich habe Zuhörer. Möchtest du sie einmal berühren?“ 

 

Salome nickte.

Andächtig strich sie über das Holz. Dann hielt er ihr die Violine so hin, dass sie die vier Saiten nacheinander mit dem Zeigefinger anzupfen konnte.

            „Weißt du, mein kleiner Sohn konnte auch Geige spielen.“, sagte er sanft.

            „Wo ist er jetzt?“, fragte Salome neugierig. 

            „Er ist jetzt ein Engel. Ab und zu kann ich ihn sehen.“

Sie nickte. Auch sie hatte inzwischen zwei Cousins, die zu Engeln geworden waren. Salome glaubte, ein paar Tränen in den Augen des Mannes zu erkennen. 

Der fremde Mann lächelte sie erneut freundlich an. Dann verschwand er ohne weitere Worte nach hinten in der Dunkelheit. 

Das Mädchen war wieder allein mit seinen Gedanken. Es ging zu seiner Familie hinüber und setzte sich zu ihnen auf den Boden. Salome lehnte ihren Kopf in den Schoß der Mutter. Da wurde sie schläfrig und nickte kurz ein.

Als sie aufwachte, stand der fremde Geiger vor ihr. In der Hand hielt er einen kleinen schwarzen Koffer. Er öffnete ihn rasch und holte ein hölzernes Instrument hervor. Dann streckte er die Kindervioline in Salomes Richtung. Ehrfurchtsvoll griff das Mädchen danach.

            „Die Geige meines Sohnes. Sie gehört jetzt dir. Es ist bald Chanukka.“

Salomes Augen glänzten. Ja, sie glaubte an Wunder.

 

Alle Menschen auf der ganzen Welt sollten an Wunder glauben. Zu jeder Zeit, nicht nur an Weihnachten…   Das Mädchen in der Geschichte könnte auch Anastasia oder Farah sein.  

Tanja Scheichl-Ebenhoch

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